Artist Statement

Der Umgang mit den Hinterlassenschaften vergangener Generationen ist ein Versuch, die eigene Herkunft und Prägung zu verstehen und nach der Bedeutung von Identität zu fragen.

Die bestehenden Verhältnisse treiben mich zunehmend in den Außenraum. Seit über 2 Jahren versuche ich, mir meine Stadt in ausgedehnten Spaziergängen zu erobern; entdecke Parks – in ihnen leere zerschossene Sockel aus der Kaiserzeit; Plätze – einst sehr repräsentativ, jetzt von Vandalismus geprägt; sehe Menschen – in der U-Bahn oder sonst wo, meist bewaffnet mit einem Smartphone.

Ich denke über Parallelwelten nach und Bedeutung von Erscheinungen, Wirklichkeit und Fantasiewelt, Anwesenheit und Abwesenheit. Augmented Reality fügt dem erlebten Bild ein Nichtvorhandenes hinzu, welches nur im Screen eines Smartphones erscheint.

Caro Suerkemper

Im Strudel der Gewalt

Ein wildes Gewimmel. Der Tonkörper gibt sich windende Pferdekörper frei, übereinandergestapelt, neben schlagenden Hufen, Fragmente von Leibern, Armen, Beinen, Köpfen. Die Gesichtsausdrücke oszillieren zwischen völliger Unbewegtheit und schierem Schrecken. Was ist geschehen?
Caro Suerkemper, die dieses Gebilde aus Ton geschaffen hat, hat sich der manieristisch bis barocken Formensprache be-dient, der Figura Serpentinata. Reizvoll erscheint auch der Kontrast zwischen unbearbeiteten Flächen, auf denen der Ton nur grob zusammengefügt und nicht zur glatten Fläche verstrichen wurde und den delikaten, fein ausgearbeiteten Partien, die fast schon illusionistisch erscheinen. Grob gegen fein, dieses Gestaltungsmittel kennt man von den Plastiken von Rodin, der damit im Stil des französischen Impressionismus die dauernde Bewegung und zitternde Erregung zeigte.
Werden die Menschen und Pferde in einen unwiderstehlichen Strom eingesogen wie die Sünder in dem Gemälde „Der Höllen-sturz“ des Barockheroen Peter Paul Rubens? Die altmeisterlichen Mittel verweisen auf ein aktuelles Thema – durch ein Foto, das inzwischen zu einer Ikone geworden ist: In Nischni Nowgorod hält eine junge Demonstrantin ein Plakat hoch. Auf der weißen Fläche – Nichts – keine Botschaft, kein Appell. Einfach eine weiße Fläche im kalten sibirischen Sonnenlicht. Trotzdem wurde die Frau von der Polizei abgeführt.
Diese Gewalthaltigkeit drückt sich auch schon formal in der Arbeit von Caro Suerkemper aus. Die Demonstrantin erscheint hier vervielfacht und immer wieder hält sie in verschiedenen Haltungen ihr weißes Plakat hoch. Dieses wirkt wie ein Fremdkörper in dem Gewimmel und stört damit den ersten Eindruck des Bekannten und durch die Kunst-geschichte Geadelten. Damit wurde mit einem Minimum an formalen Mitteln herausgearbeitet, was der eigentliche Sinn des Plakates ist: eine Störung im Fluss der verlogenen Propaganda, ein Moment der Stille und Leere, bevor sich der Mahlstrom wieder fortbewegt. Denn denen, die sich in diesen (jetzigen) Zeiten in einem totalitären Land auf die Straße trauen, gehört unser Respekt.